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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 13.08.2003


liegen lernen
Jana Scheerer

Helmut ist ein gefühlsgehemmter, bindungsunfähiger und feiger Penner. Und wer ist schuld? Eine Frau natürlich. Seine Erlösungsgeschichte führt Helmut zurück in die 80er. Und die ZuschauerIn mit ihm.




Ein schlechter Mensch hat immer einen guten Grund, schlecht zu sein. Und der liegt in der Vergangenheit. Bei einem schlechten Mann ist dieser Grund natürlich eine schlechte Frau. Ist die überwunden, wird alles gut.

So lautet eine - zugegebenermaßen sehr kurze - Zusammenfassung des psychologischen Unterbaus von "liegen lernen." Männer, behauptet der Film, hängen ganz besonders an ihrer ersten Liebe. Und Frauen, behauptet das Presseinfo, können das nicht verstehen.

Ob das so ist und ob wir das verstehen, sei dahin gestellt. Fest steht: Helmut muss zurück zu seiner ersten großen Liebe, um seine Beziehungsunfähigkeit zu überwinden. Und diese große Liebe fand in den 80er Jahren statt. Diese Tatsache nimmt der Film zum Anlass für eine Zeitreise ins Land der Karottenhosen, Halstücher und Pershing-Diskussionen.

Zum Glück wird dabei nicht wild mit Geha- und Pelikanfüllern gefuchtelt und der Sinn oder Unsinn von Bennetonpullovern diskutiert. Stattdessen geht es um friedensbewegte Schulsprecherinnen und eine Klassenreise nach Berlin. Die liefert das Gegenstück zum Good Bye Lenin-Szenario: Das Westberlin der 80er Jahre. Und als besonderes Sahnestück für SchönebergerInnen spielt auch die gelb getünchte Eisdiele in der Gotenstraße mit.

Aber zurück zur Liebe: Helmut verliebt sich also, natürlich in die blonde Schulsprecherin Britta. Den ersten Kuss gibt es auf der Klassenfahrt und danach auch eine ganze Menge mehr. Nur etwas ist komisch: Britta möchte nicht, dass die anderen etwas von ihrer Liebe mitbekommen. Wegen der Prominenz und der Bürde des Amtes, versichert sie Helmut, der das allzu gerne glaubt.

So beglückt er Britta nach dem ersten Mal mit einem Ring, den diese einsteckt, nach Amerika abreist und Helmut keinen einzigen Brief schreibt. Gemein! Das denkt sich auch Helmut und ist fortan beziehungsgestört. Besonders Gisela, auch eine Mitschülerin, hat unter diesem Defekt zu leiden. Als sich die beiden an der Uni wieder treffen, schlüpft Helmut gerne in ihr gemütliches WG-Nest, auch wenn er Gisela eigentlich nicht so richtig liebt.

Um das zu verwinden, beginnt Helmut eine Affäre mit Giselas Mitbewohnerin Barbara, die seine Anfrage nach gemeinsamen Sex mit den Worten "Samstag hätt´ ich Zeit" beantwortet. Dummerweise hat eines Samstags auch Gisela Zeit und erwischt die beiden in flagranti. Die Beziehung ist damit beendet und Helmut wendet sich nach einem Jahr der Abstinenz einer sehr viel älteren Sportreporterin zu. Das ist natürlich auch keine adäquate Beziehung und ein weiterer Ausdruck Helmuts Bindungsunfähigkeit. Finden Helmuts Eltern auch.

Doch Helmuts neues Motto heißt: "Liegen lernen. Still halten. Nichts machen. Dann laufen einem die unglaublichsten Frauen über den Weg." "Liegen lernen" ist auch der Titel der Romanvorlage von Frank Goosen, und "liegen lassen" wäre wohl ein guter Rat für die Frauen, die dem lauernden Helmut über den Weg laufen.

Irgendwann zwischen all dem fällt die Mauer, Helmut fährt nach Berlin und stößt noch ein Mal auf Britta, die inzwischen eine ganz schlimme Spießerin geworden und immer noch gemein zu Helmut ist. Außerdem kommt heraus, dass auch Helmuts bester Freund Mücke damals was mit ihr hatte - behauptet der zumindest. So erklärt sich auch die Sache mit der Geheimhaltung.

Die geneigte Leserin ahnt es schon: Der Plot ist nicht das, was "Liegen lernen" zu einem lohnenswerten Kinoerlebnis macht. Der sollte sogar besser geflissentlich übersehen werden. Das ist auch gar nicht so schwer, denn die oft witzigen Schnitte und das perfekte Zusammenspiel von Musik und Bild machen den Film zu einem Genuss jenseits der Handlung.

Besonders gelungen ist eine der Anfangsszenen, in der Helmut im strömenden Regen vor seiner schwangeren Freundin aus der gemeinsamen Wohnung flieht. Es folgt die Rückblende in die 80er Jahre: Helmut steht mit einer Kiste Bier im Keller, es läuft "Rhythm of the Rain." Anscheinend hört auch Helmut die Musik, denn er sieht sich suchend um: Woher kommt sie? Er schaut durch einen Holzverschlag und entdeckt seinen Vater, der versonnen alleine zur Musik tanzt.

Wem der Rest des Films keine Emotion mehr abgewinnen kann, der sollte hier ordentlich gerührt sein: Der Anblick des alleine mir grotesk wirkenden Bewegungen tanzenden Vaters treibt die Tränen in die Augen. Schade ist nur, dass dieses Niveau nicht gehalten werden kann.

Am Ende des Films trifft Helmut sich noch ein Mal mit Britta, erkennt endlich, dass sie auch nur ein Mensch ist und kehrt zu seiner schwangeren Freundin zurück. Die will ihn tatsächlich noch - und es bleibt nur zu hoffen, dass Helmuts Heilung auch von Dauer ist.




liegen lernen
Hendrik Handloegten
Mit Fabian Busch, Susanne Bormann und Sophie Rois
Nach dem gleichnamigen Roman von Frank Goosen
94 Minuten, 4.September 2003
Berlin, 2002






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Beitrag vom 13.08.2003

AVIVA-Redaktion